Vom Zauber der Zufriedenheit 

Persönlichkeit und Erfahrung haben eine wunderbare Wirkung: Sie machen uns zufrieden.

Heute Abend gehe ich zu unserem 15 jährigen Klassentreffen. Viele meiner Mitabiturienten habe ich die ganzen Jahre über nicht gesehen und gehört. Selbst auf Facebook hält sich die Anzahl der „Freunde“ aus dieser Zeit in Grenzen. Jetzt stehe ich vor meinem Kleiderschrank und mich beschleicht das Gefühl, dass ich nicht wie sonst üblich nicht weiss was ich anziehen soll - ein gängiges Frauenproblem -  sonder heute stellt sich ja auch noch die Frage, was stelle ich da. Mir kommt die alte Werbung der Sparkasse in den Kopf: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot.…“ (anbei der youtube link für die Jüngeren unter uns: https://www.youtube.com/watch?v=U0MU-2_MuUE). Ich weiß jetzt schon das Max F. genau so in den Raum kommt. Alle Statussymbole und Erfolge auf dem Smartphone parat. Ich habe immer noch nichts anzuziehen. Ist es mein Businesskostüm von der Arbeit oder doch lieber meine Lieblingsjeans erweitert durch mein freches „Ich-bin-mit-den-Kindern-unterwegs-und-kann-problemlos-auf-Bäume-klettern-und-lossprinten-Outfit. 


Als ich aus dem Haus gehe bin ich zufrieden mit mir. Mein Spiegelbild lächelt mich an. Ich trage meine Lieblingsjeans. Noch schnell zwei, drei Luftküsschen an meine am Fenster stehenden Kinder und meinen Mann und ich mache mich freudig auf den Weg zum Treffen.  Als ich vor der Tür zum Restaurant stehe, weicht meine freudige Stimmung einer Unsicherheit. Ich hatte völlig verdrängt, dass wir in einem der angesagtesten und vornehmsten Restaurant in Hamburg verabredet sind. Ich atme einmal kräftig ein und gehe einen Schritt nach vorne und mir wird die Tür aufgetan. Der Abend wird lustig. Am längsten unterhalte ich mich mit Max.F.. Nicht nur, weil wir die einzigen sind, die eine Jeans tragen. Max ist innerlich so ausgeglichen. Die Frage, ob er ein Haus, ein Auto, ein Boot hat, kann ich nicht beantworten. Er ist vielmehr so liebenswert normal geblieben. Max ist einfach Max und das in einem ganz positiven Sinne.


Es braucht manchmal nur ein Erlebnis wie dieses, um einem den Wert der Zufriedenheit in Erinnerung zu rufen. Wenn wir Zufrieden sind, dann verabschieden wir uns von Minderwertigkeitsgefühlen. Unzufrieden sind wir, wenn wir uns ständig auf das konzentrieren, was uns fehlt, wir uns bedauern, bemitleiden, wir klagen und nach dem Motto leben: mehr, mehr, mehr. Wer hingegen zufrieden ist, verfügt über eine positive Grundstimmung. „ Es bedarf einer Entwicklung, die zum Ziel hat, das Maß für die eigene Norm aus sich selbst zu schöpfen und sich aktiv dagegen zur Wehr zu setzen, dass die Normen für Normalität von außen kommen“, so die Schweizer Psychologin, Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin Dr. Maya Storch.  Entsteht Zufriedenheit also während des Lebens und Wachstums und der Reifung eines Menschen?  Zufriedenheit ist ein Ziel, das einerseits entdeckt werden möchte und andererseits in der Realisierung mit Anstrengung verbunden ist. Die Zufriedenheit tritt im Leben nicht automatisch ein, sondern sie muss sich in der ständigen Auseinandersetzung mit der Unzufriedenheit behaupten. Letztendlich wird derjenige Mensch eher zufrieden sein, der es versteht, seine inneren Erfahrungen zu steuern bzw. zu kontrollieren.


Kann man in unserer Konkurrenzgesellschaft - in der Ehrgeiz als Primärtugend gilt und Genügsamkeit fast schon als Sünde - erlauben zufrieden zu sein, nicht immer besser werden zu müssen. Zufriedenheit kommt niemals marktschreierisch daher. Zufriedenheit muss nicht auffallen. Sie zeichnet eine bestimmte Art des souveränen Umgangs mit sich und dem Leben. Ein zufriedener Mensch wird gerne als ausgeglichen und aktiv wahrgenommen, obwohl er in gewisser Weise einem Muster folgt, das er für sich rausgebildet hat. Er setzt sich selbst die Messlatte, wann er zufrieden sein kann oder will.

Ein unzufriedener Mensch hingegen ist jemand, der wahllos Neuem aufsitzt, weil er kein Kriterium besitzt, das ihm sagt, was für ihn passt und was nicht. Ein zufriedener  Mensch ist von außen nur bedingt manipulierbar. Es gibt Menschen, die durch ihre Zufriedenheit beeindrucken, sie besitzen diese Souveränität, die Sicherheit, die nicht auf der verkrampften Zielerreichung nach dem Neuen um jeden Preis beruht und schon gar nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun hat. Zufriedenheit scheint mit dem gesunden Menschenverstand erreichbar zu sein. Indem man lernt, auf sich selbst zu hören und sich dann erlaubt, sich dem zu widmen, was einem behagt.

 Es ist eine Illusion zu glauben, dass zufriedene Menschen dauerhaft zufrieden sind. Das Leben verlangt, dass wir uns weiterentwickeln und Neues lernen. Dauerhafte Zufriedenheit würde uns nämlich keine neuen Erfahrungen bescheren. Um zufrieden sein zu können braucht es also auch gelegentlich die Unzufriedenheit. Sie ist ein Motor, der uns antreibt weiterzugehen und neue Erfahrungen zu machen.

Es war spät geworden, als ich nach Hause kam. Ich fühlte mich müde und aufgekratzt und hätte meinem Mann gerne von dem schönen Abend berichtet. Natürlich ist es ganz still im Haus und meine Familie schläft. Als ich meine Jeanshose ausziehe kommen mir ein paar aberwitzige Gedanken. Ich stelle mir vor, was diese Hose schon alles erlebt hatte. Die Arme hatte heute Abend wahrscheinlich nur einen Gesprächspartner gehabt. Ob sie sich als Außenseiter gefühlt hatte. Minderwertig, weil sie nicht wie die anderen aus feinem Garn war. Nein, ich bin mir sicher, dass sie ebenfalls einen perfekten Abend hatte. Schließlich ist sie eine Persönlichkeit und kann aus einem Repertoire an Erfahrung greifen.  Ganz nachdem Motto: „Kleider machen Leute“ waren wir heute ein gutes Team. Zufrieden schlafe ich ein.